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Die 3. Welle

Richard Petersen • 29. November 2024

Einmal Faschismus und zurück

Sie konnten den Faschismus nicht verstehen - plötzlich waren sie selbst Teil der Bewegung. An einer amerikanischen High School wagte der Lehrer Ron Jones 1967 ein radikales, inzwischen "legendäres" Sozialexperiment.

Er drillte seine Klasse in Disziplin und Gemeinschaftsgeist. Die Sache geriet schnell außer Kontrolle!


Ron Jones begann 1966 als Geschichtslehrer und Basketballcoach an der Cubberley High School, nachdem er in Stanford Pädagogik und internationale Beziehungen studiert hatte. Er unterrichtete dabei unter anderem eine Klasse von größtenteils 15-jährigen Zehntklässlern in Zeitgeschichte.

Auslöser des nachfolgenden Experiments waren Fragen der Klasse zu einer Unterrichtsstunde über den Nationalsozialismus, die Jones nicht beantworten konnte.

Zwei der Fragen lauteten: „Wie konnten die Deutschen behaupten, nichts von der Judenvernichtung gewusst zu haben?“ und „Wie konnten Dorfbewohner, Bahnangestellte, Lehrer, Ärzte behaupten, sie hätten nichts von dem Grauen in den Konzentrationslagern gewusst?“

Auch als die Stunde schon lange vorbei war, ließ den Lehrer diese Frage nicht los. Er beschloss ein außergewöhnliches Experiment zu wagen. Er wollte Nazi-Deutschland nachbauen, im Kleinen, im Klassenzimmer. Er wollte seine Schüler Faschismus erleben lassen, hautnah. Den Horror, aber auch die „Faszination“.

Da die Klasse im Lehrplan bereits weit genug fortgeschritten war, entschied sich Jones, eine Woche für die Beantwortung dieser Fragen durch ein Experiment aufzuwenden.


Jones war für seine radikalen Lehrmethoden berüchtigt. Er hatte seine Schüler einmal in Zweiergruppen aufgeteilt. Einer von beiden musste tagelang mit verbundenen Augen rumlaufen. So wollte er lehren, was Vertrauen bedeutet.

Ein anderes Mal verbot der extreme Lehrer einer Gruppe von Schülern für einige Tage bestimmte Toiletten im Schulgebäude zu benutzen. Da wollte er ihnen etwas über Rassentrennung beibringen.


Am ersten Tag des Experiments behandelte Jones das Thema Disziplin. Nach einem Vortrag über die Vorteile von (Selbst-)Disziplin führte er in der Klasse eine neue Sitzposition ein. Die Schüler mussten sich aufrecht hinsetzen, die Füße flach auf den Boden stellen und die Hände flach im Hohlkreuz positionieren. Er trainierte diese Sitzposition, indem er die Schüler durchs Klassenzimmer gehen ließ und dann das schnellstmögliche Einnehmen der Sitzposition verlangte. Es folgten weitere Drills, mit denen er die Sitzposition perfektionierte und Gespräche zwischen den Schülern unterband. Am Ende dieser Übungen konnte die Klasse innerhalb von fünf Sekunden von einer stehenden Position außerhalb des Klassenzimmers in die eingeübte Sitzposition wechseln.

Danach führte Jones einige neue Regeln ein. So mussten die Schüler von nun an zur Beantwortung oder zum Stellen von Fragen aufstehen, sich neben dem Tisch hinstellen und die Frage oder Antwort mit Mr. Jones beginnen. Auch dieses Verhalten übte er mit den Schülern, wobei er zusätzlich verlangte, dass Antworten nur noch aus drei oder weniger Wörtern zu bestehen hatten.

Jones war überrascht von den positiven Auswirkungen der neuen Regeln. Es meldeten sich nicht mehr nur die Üblichen zu Wort, sondern alle. Das Niveau der Fragen und Antworten wuchs erstaunlich, man passte auf und hörte einander zu. Jones hatte gedacht, die Schüler fänden autoritäres Lernen lächerlich, würden sich verweigern, bocken - aber das Gegenteil war der Fall. Es war einfach gewesen, ihnen Drill und Disziplin abzuverlangen, unheimlich einfach.

Sie waren produktiver als je zuvor.


Als Jones am zweiten Tag das Schulzimmer betrat, fand er die ganze Klasse bereits ruhig und wie eingeübt sitzend vor. Daraufhin schrieb er an die Tafel STRENGTH THROUGH DISCIPLINE („Stärke durch Disziplin“) und STRENGTH THROUGH COMMUNITY („Stärke durch Gemeinschaft“), die zwei Leitgedanken des Experiments. Er beschrieb den Schülern durch einen Vortrag die positiven Folgen eines starken Gemeinschaftssinns. Um dies für die Schüler erlebbar zu machen, ließ er die Klasse in verschiedenen Konstellationen die beiden Leitgedanken aufsagen.

Am Ende der Stunde stellte Jones der Klasse eine neue Grußbewegung vor, wobei die gekrümmte rechte Hand zur linken Schulter geführt wurde. Jones nannte den Gruß "The Third Wave" - Die dritte Welle.

Wellen kommen in Dreiergruppen, die letzte, die dritte aber ist die kräftigste, wenn sie auf den Strand trifft. Niemandem fiel die begriffliche Nähe zum "Dritten Reich" auf.  Jones stellte sie als neuen Gruß der Klasse vor, in der Schule und auf der Straße sollte sie zeigen, dass man Teil einer Bewegung war.

In den nächsten Tagen ging Jones besonders aufmerksam durch die Schule. In der Cafeteria, in der Bücherei, in der Turnhalle nutzten Schüler den "Welle"-Gruß, wenn sie sich trafen. Das Experiment dehnte sich über das Klassenzimmer aus.

Jones gab am dritten Tag den Schülern die Möglichkeit, das Experiment abzubrechen, die aber niemand wahrnahm. Daraufhin verteilte er Mitgliedskarten für die Bewegung The Third Wave („Die Dritte Welle“). Einzelne dieser Mitgliedskarten waren mit einem roten X versehen. Diese Schüler hatten die Aufgabe, andere zu melden, die sich nicht an die von Jones aufgestellten Regeln hielten. Sein zentrales Thema dieser Stunde war das gemeinschaftliche Handeln.

Er erinnerte die Schüler daran, wie viel Schmerz und Erniedrigung die Konkurrenzsituation in normalen Klassen mit sich brachte. Der Konkurrenzkampf war zu dieser Zeit an der Schule besonders hoch, da nur gute Noten einen Übertritt an die Universität und damit eine Befreiung vom Militärdienst im Vietnamkrieg garantierten. Die Schüler äußerten daraufhin ihre Begeisterung für die neue Unterrichtsstruktur. Auch die Hausaufgaben wurden laut Jones in dieser Zeit deutlich besser gelöst als zuvor.


Jones gab nun jedem Schüler eine spezifische Aufgabe, so zum Beispiel ein Banner für die Bewegung zu kreieren, Nichtmitglieder daran zu hindern, das Klassenzimmer zu betreten, Name und Adresse jedes Mitglieds auswendig aufsagen zu können oder 20 Kinder der nahe gelegenen Grundschule von der neuen Sitzposition zu überzeugen.

Zu diesem Zeitpunkt gab er den Schülern auch die Möglichkeit, einzelne ihrer Freunde, die sie als vertrauenswürdig einschätzten, für die Bewegung zu gewinnen. Neue Mitglieder bekamen eine Mitgliedskarte und mussten vor Jones ihr Wissen um die Regeln der Gemeinschaft demonstrieren und schwören, diesen Regeln Folge zu leisten.

Die Begeisterung für die Dritte Welle an der Schule wuchs. So grüßte der Schulleiter Jones bei einer Sitzung mit dem Wellengruß, und Plakate wurden aufgehängt. Die Schüler, auch solche ohne rotes X, begannen Schüler, die der Bewegung kritisch gegenüberstanden, zu denunzieren. Drei, laut Jones eher leistungsstarke Schülerinnen, erzählten ihren Eltern von dem Experiment. Den besorgten Rabbiner eines Elternteils konnte Jones in einem Telefonat beschwichtigen. Am Nachmittag kündigte ein Schüler Jones an, von nun an als Bodyguard für seine persönliche Sicherheit zu sorgen.


Mit der zunehmenden Dauer des Versuchs mehrten sich die Zweifel in Jones. Nicht nur befürchtete er negative Auswirkungen für seine Schüler, sondern er bemerkte auch, dass für ihn selbst die Grenzen zwischen dem Sich-als-Diktator-Geben und dem Diktator-Sein zu verschwinden begannen. Außerdem bekam er Angst, als so viele Schüler bereit waren, ihre Freunde für "die Sache" zu denunzieren. Er wollte aber das Experiment nicht Knall auf Fall beenden, da er negative Auswirkungen auf die Psyche einzelner Schüler befürchtete.


Donnerstag. Die Klasse war von 30 auf 80 angewachsen - die Neuen schwänzten ihren regulären Unterricht.

An diesem Tag stellte Jones "Stolz" ins Zentrum seiner Lektion. Zudem erzählte er den Schülern, sie seien Teil einer landesweiten Bewegung von Schülern, die von ihren Lehrern rekrutiert und trainiert worden seien, um einen politischen Wechsel herbeizuführen. Er bat die drei Schülerinnen, die sich kritisch über das Experiment geäußert hatten, das Klassenzimmer zu verlassen, und ließ sie in die Bibliothek eskortieren.

Danach verkündete er für den Mittag des folgenden Tages eine Zusammenkunft aller lokalen Mitglieder der Dritten Welle. Bei diesem Treffen sollte ein nationaler Präsidentschaftskandidat das Programm der Bewegung verkünden. Jones bestand darauf, dass nur Mitglieder am Treffen teilnahmen.

Ein bizarrer Zufall verlieh der Ankündigung des Lehrers damals Glaubwürdigkeit. Eine ganzseitige Anzeige im Time Magazine warb für ein Holzprodukt namens Dritte Welle. Die Schüler waren begeistert. Es gab niemanden mehr, der Jones nicht glaubte.

Das Experiment hatte fünf Tage gedauert. Doch schon das war zu lange.


Freitag-Mittag in der Schulaula. Über zweihundert Schüler saßen da, stramm, aufrecht. Die Decke verhüllt von breiten "The Third Wave"-Bannern. Freunde von Jones gaben sich als Fotografen und Journalisten aus, um dem Anlass mehr Bedeutung zu verleihen. Am Anfang der Zusammenkunft ließ er die Schüler mehrmals den Gruß der Welle vorführen und das Motto „Stärke durch Disziplin“ wiederholen.


Danach schaltete er den Fernsehbildschirm an der Stirnseite des Raumes ein, ohne dass darauf das erwartete Bild eines Anführers der Bewegung erschien. Nach mehreren Minuten brüllte ein Schüler durch den Raum: “There isn’t any leader, is there?” („Es gibt keinen Anführer, nicht wahr?“). Jones stellte nun den Fernseher ab. 

Entsetzen im Saal. Jones begann zu reden, nicht mehr scharf, laut, sondern weich, schuldbewusst: "Ihr habt recht. Aber wir hätten sicher alle gute Nazideutsche abgegeben."


Der Lehrer zeigte seinen Schülern einen Film über das Dritte Reich. Die große Bewegung auf Reichsparteitagen, Gemeinschaft, Disziplin, Gehorsam - und dann die "großen Taten" für die Gemeinschaft. Terror, Gewalt, Gaskammern.

Ron Jones sah in die fassungslosen Gesichter.

Der Kreis schloss sich, die Frage war beantwortet. Er wusste, warum er vergessen würde, warum alle hier vergessen würden.

Er sagte es: "Wie den Deutschen wird es euch schwer fallen zuzugeben, dass ihr so weit gegangen seid. Ihr werdet nicht zugeben wollen, manipuliert worden zu sein. Ihr werdet nicht zugeben, bei diesem Irrsinn mitgemacht zu haben."


Er behielt recht damit. Am nächsten Schultag herrschte eine bedrückte Stimmung. Niemand wollte mehr über das Experiment sprechen. Vielen war es peinlich, wie leicht sie sich von der Welle haben mitreißen lassen. Gerade unter den Älteren, die eigentlich gar nicht zur Klasse gehörten, aber für die 'Third Wave' ihren Unterricht schwänzten.

Quelle: wikipedia.org, spiegel.de/geschichte


In diesem Sinne, lasst uns stabil bleiben und lassen wir uns nicht "verführen". Nie wieder ist jetzt!


Vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,

Richard



P. S. Die maskuline Schreibweise dient ausschließlich der besseren Lesbarkeit. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.

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