Die Macht der Traditionen

Richard Petersen • 30. Mai 2024

"Das haben wir schon immer so gemacht!"

„Das haben wir schon immer so gemacht!“ – Ein häufiger, aber gefährlicher Satz, insbesondere im Job.

Er ist Ausdruck von Stillstand, mangelnder Initiative und der Macht der Tradition. Oft wissen wir gar nicht, warum die Dinge genau so gemacht werden, aber wir hinterfragen es auch nicht und finden uns damit ab.

Ein Fehler, der Erfolg und positive Entwicklungen verhindert.


Viele Wissenschaftler und Visionäre mussten und müssen noch heute gegen Windmühlen kämpfen. Beispiele sind Albert Einstein mit seiner Relativitätstheorie oder Steve Jobs, der Gründer von Apple. Heute stellt niemand die revolutionären Ideen dieser außergewöhnlichen Persönlichkeiten infrage.


Ich zeige dir, wie gefährlich die Macht der Tradition ist und was ein Experiment mit Affen damit zu tun hat.


Traditionen sind altbekannte Vorgänge, etablierte Prozesse und Gewohnheiten, die sich über Jahre oder Jahrzehnte durchgesetzt haben. Nachfolger und jüngere Generationen wissen meist gar nicht, woher diese stammen – und übernehmen sie trotzdem. Genau hier beginnt sie, die Macht der Tradition.


Es sind unreflektierte Verhaltensweisen, die als gegeben und unumstößlich akzeptiert werden.

Ein Beispiel: Jeden Morgen um 10 Uhr kommt das gesamte Team für 90 Minuten zum Meeting zusammen. Es gibt zwar nichts zu diskutieren und keinerlei Fortschritte, doch die Besprechung wurde schon immer so gemacht.

Klingt übertrieben, doch die Macht der Tradition zeigt sich genau so in vielen Bereichen.


Traditionen müssen nicht zwangsläufig Vermächtnisse früherer Generationen sein. Oft sind es Gewohnheiten und Routinen, die nicht hinterfragt, sondern immer wieder abgespult werden. Es gibt unzählige Abläufe, die wir überhaupt nicht hinterfragen. Manche haben wir selbst eingeführt, andere stillschweigend von anderen übernommen, ohne jemals groß darüber nachzudenken.


Um die Macht der Tradition bei Menschen besser zu verstehen, hilft ein anschauliches Experiment mit Affen.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern um Harry Harlow führte das sog. „5-Affen-Experiment“ durch. Sie platzierten fünf Affen in einen Käfig, in dessen Mitte eine Leiter stand, über der Bananen hingen. Jedes Mal, wenn ein Affe die Leiter hinaufstieg, spritzten die Wissenschaftler die anderen vier Affen mit kaltem Wasser ab. Dies wiederholten sie mehrmals.

Die Konsequenz: Jeder Affe, der die Leiter erklimmen wollte, wurde von den anderen attackiert und verprügelt, weil diese nicht mehr mit kaltem Wasser bespritzt werden wollten. Nach einer Weile wagte sich kein Affe mehr auf die Leiter, selbst wenn die Verlockung der Bananen groß war.

Dann tauschten die Forscher einen Affen aus. Der neue Affe stieg sofort die Leiter hinauf, um sich die Bananen zu holen. Doch die anderen Affen griffen ihn sofort an. Obwohl er nicht wusste, warum er Prügel einstecken musste, lernte er, die Leiter zu meiden.

Ein weiterer Affe wurde ausgetauscht, und das Muster wiederholte sich. Und der zuvor eingewechselte Affe beteiligte sich an der Prügelei gegen den Neuen.

Dieser Austausch setzte sich fort, bis schließlich eine Gruppe von fünf Affen im Käfig war, die nie mit kaltem Wasser besprüht wurden. Trotzdem verprügelten sie jeden Artgenossen, der die Leiter erklimmen wollte.

Wenn man die fünf Affen fragen könnte, warum sie so handeln, würden sie wahrscheinlich sagen: „Wir wissen es nicht, das ist hier so üblich!“ oder „Das wird hier immer so gemacht!“

Obwohl es heute Zweifel gibt, ob dieses Experiment genau so stattgefunden hat, ist es dennoch ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Menschen oft reagieren, wenn jemand etwas anders macht.

Die Akzeptanz von „Anderssein“ ist meist gering, selbst wenn es keinen rationalen Grund dafür gibt.

Es ist die Macht der Tradition. Die Affen haben das Verhalten von ihren Artgenossen übernommen. Ohne wirklich zu verstehen, welche Gründe es hat.

 

Traditionen beginnen genau wie im Affengehege. Irgendwann weiß niemand mehr, warum man die Dinge macht, wie man sie macht. Aber jeder ist davon überzeugt, dass es nur so richtig ist und nur so geht.


Schön blöd! Lasse niemals zu, dass (sprichwörtliche) Affen dich davon abhalten, die Erfolgsleiter hochzuklettern und positive Veränderungen zu bewerkstelligen.

Und stehe dir dabei auch nicht selbst im Weg. Was wir bei anderen leicht bemerken und bemängeln, machen wir oft selbst genauso.


Traditionen und Gewohnheiten sind gefestigte Automatismen, die das Leben erleichtern, weil sie unseren Denkapparat nicht weiter belasten. Wir fliegen im Autopilot und sparen Unmengen an Energie.

Bei positiven Gewohnheiten ein großer Vorteil — nur setzen sich auch schlechte Angewohnheiten hartnäckig fest. Einmal etabliert, lässt sich die Gewohnheit und damit die Macht der Tradition nur schwer wieder brechen.


Das beste Mittel gegen die Macht der Tradition ist aktives Hinterfragen. Gewohnheiten können wir nur ändern, wenn wir uns diese bewusst machen.

Frag dich vielleicht hin und wieder: „Warum mache ich die Dinge überhaupt so – und ist das wirklich sinnvoll?“


Schluss mit „Das haben wir schon immer so gemacht“ und hin zu „Wie sollte es am besten gemacht werden?“


Denke immer daran: Dasselbe alte Denken liefert dieselben alten Ergebnisse!


In diesem Sinne, vielen Dank fürs Lesen und viele Grüße,

Richard


P. S. Wegen der besseren Lesbarkeit habe ich die maskuline Schreibweise verwendet. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.

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