Wie Gerüchte entstehen

Richard Petersen • 5. Juli 2024

Gerüchte werden von Neidern erfunden, von Dummen verbreitet und von Idioten geglaubt.

Der britische Publizist Cyril Northcote Parkinson drückte es vornehmer aus: „Wo immer in der Kommunikation ein Vakuum entsteht, werden Gift, Müll und Unrat hineingeworfen.“

So ist es kein Wunder, dass die wildesten Spekulationen und Gerüchte ausgerechnet in Krisenzeiten Konjunktur haben.


Dann liegen die Nerven blank, die Unsicherheit wächst, erst recht, wenn Rivalitäten überhandnehmen. Dann kocht die Gerüchteküche hoch, und die Mehrheit orientiert sich am Hörensagen. Typisch Flüsterpropaganda. Doch was dagegen tun? Mitmachen – oder nicht?


Gerüchte sind oft kolportierte, aber unverbürgte Nachrichten, deren Wahrheitsgehalt sich nur schwer verifizieren lässt. Sie werden aber trotzdem weitererzählt, weil ihr Inhalt spannend oder von allgemeinem (öffentlichen) Interesse ist.

Ein Gerücht richtet sich in der Regel gezielt gegen eine Person. Damit kann es Teil einer Intrige oder ein Instrument für Machtspiele oder Mobbing sein.


Synonyme für den Begriff Gerücht sind: Klatsch und Tratsch, Flurfunk, Flüsterpropaganda, Lügenmärchen (derber: „Latrinenparole“), Legende, Überlieferung oder Ondit (französisch: „man sagt“, (Englisch: rumour).


Der Begriff Gerücht stammt vom Mittelniederdeutschen „geruchte“ und bedeutet so viel wie Geschrei oder Gerufe. Der Begriff „Klatsch“ wiederum leitet sich etymologisch vom lautmalerischen Geräusch des Ausschlagens nasser Kleidung an öffentlichen Waschplätzen ab. Dort kamen einst die Frauen zusammen, wuschen Schmutzwäsche und tauschten Neuigkeiten aus – Klatschweiber im Wortsinn.


Ich liebe Gerüchte. Ich habe mit der Zeit so unglaublich viel über mich erfahren, was ich vorher gar nicht wusste.“ (unbekannter Autor)


Täuschen wir uns nicht: Geschwätzigkeit ist keine weibliche Domäne! Alle Geschlechter tratschen gleich gerne.

Laut dem Bielefelder Soziologen Jörg Bergmann klatschen Männer und Frauen nur inhaltlich anders: Frauen seien bei ihren Erzählungen entweder deutlich gehässiger oder mitfühlender, während Männer emotionsloser seien.

Thematisch dreht es sich bei Männern vornehmlich um den Besitz anderer, bei Frauen ist es das Aussehen.


Schon zu Urzeiten waren Klatsch und Tratsch überlebenswichtig, glaubt der US-Psychologe Frank McAndrew vom Knox College in Illinois. Wer etwas Schlechtes über bedeutende Personen der Gemeinschaft enthüllte, stieg im Ansehen der Gruppe und verbesserte so seine Chancen, sich fortzupflanzen. Damit wären Gerüchte vor allem ein Instrument des „Selbstmarketings“.


Gerüchte sind ein Balsam für unser Gehirn. Als Alex Mesoudi von der schottischen St. Andrews Universität die Entstehung und Wirkung von Gerüchten untersuchte, fand er bei seinen Studien heraus: Im Gedächtnis gut haften blieben vor allem pikante Details über andere Menschen – zum Beispiel Lügen oder Untreue. Dies dann weiter zu erzählen, verleiht den Gerüchteköchen ein kurzfristiges Überlegenheitsgefühl. Einerseits haben sie einen Wissensvorsprung, gleichzeitig laben sie sich an den Fehlern anderer.


Aber was macht das einzelne Gerücht so erfolgreich? Warum werden sie von uns so oft und so ungefiltert verbreitet? Auch das wurde in mehreren Studien untersucht.

Offenbar braucht es drei Zutaten, damit sich Gerüchte verbreiten:


1. Das Gerücht ist einfach
So einfach, dass wir es sofort und nur zu gerne glauben. Häufig sogar noch dann, wenn es nachweislich falsch ist – so das Ergebnis von Studien am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie um Ralf Sommerfeld

2. Das Gerücht spiegelt den Zeitgeist
Damit sich Gerüchte halten, müssen sie zwar eine überraschende Botschaft transportieren – die aber muss in unser Weltbild passen. Ist die Nachricht zu abgedreht, bleibt das Gerücht ein Strohfeuer.

3. Das Gerücht kitzelt unsere Emotionen
Eine gute Story muss uns entweder ärgern, ängstigen oder an unsere Werte oder Hoffnungen appellieren.


Der Autor Jerry R. Wilson fand sogar heraus: Positive Erlebnisse werden bis zu drei Mal weitererzählt, schlechte Erlebnisse jedoch bis zu 33 Mal.

Und je länger sich ein Gerücht hält, desto schwieriger wird es, es zu widerlegen. Denn je mehr Menschen es verbreiten, desto wahrer wirkt die Nachricht.

Tatsächlich hört unser Gehirn irgendwann auf, die Qualität von Quellen zu unterscheiden. Oder anders formuliert: Es macht keinen Unterschied, ob wir eine Information von verifizierbaren Quellen hören oder nur immer wieder dieselbe Geschichte. Das ist nichts anderes als die Psychologie hinter Legenden. Die Leute müssen den Quatsch nur oft genug hören, damit sie glauben, dass er stimmt.


Doch Klatsch und Tratsch zu verbreiten, kann sich als Bumerang erweisen. Erstens, weil immer etwas vom Dreck am Werfer kleben bleibt. Zweitens, weil lästern nicht unbedingt von einem guten Charakter zeugt. Und drittens, weil sich die Mitteilung als unwahr herausstellen kann. Dann gilt der Urheber entweder als Lügner oder als ahnungsloser Wichtigtuer.


„Wer tratscht, verbaut sich Wege“, warnen zahlreiche Karrierecoaches. Für den Einzelnen mag Klatsch ein wunderbares Regulativ sein, um Druck abzubauen und über Chefs und Rivalen herzuziehen. Aber je weiter man in der Hierarchie aufsteigt, desto gefährlicher wird das. Gerüchte sind ein echter Karrierekiller. Mangelnde Diskretion diskreditiert jeden noch so aussichtsreichen Aufsteiger.


Sidekick:

Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung deckt nicht das Verbreiten von Gerüchten oder Unwahrheiten. Gleiches gilt für Ehrverletzungsdelikte (Strafgesetzbuch §186, 187). Wer zum Beispiel üble Nachrede oder Verleumdung betreibt, kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden. Wird eine Person öffentlich verleumdet, sind sogar fünf Jahre Freiheitsentzug möglich.


Auch positive Gerüchte können eine geradezu atemberaubende Wirkung auslösen. Gegenseitiges Loben kann Karrieren beflügeln, quasi als Aspekt einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

So wie es zum Beispiel zwei niederländische Offiziere machten. Sie schworen sich, während ihrer Amtszeit nur Gutes (auch Gerüchte) über den anderen zu berichten. Wo immer das Duo auftauchte, verbreitete es Lobesarien über den Partner des Paktes – mit Erfolg.

Nach ein paar Jahren waren die beiden die jüngsten Admiräle der Niederlande.

Der Effekt ging später in die Wissenschaft als „Dutch Admiral’s Paradigm“ ein.


Grund genug, die (positive) Gerüchteküche brodeln zu lassen.


In diesem Sinne, vielen Dank fürs Lesen,

Richard


P. S. Die maskuline Schreibweise dient ausschließlich der besseren Lesbarkeit. Angesprochen sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.

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